„Ans Töten gewöhnt man sich nicht“: Anna Butz und ihre Wagyus
Vom Tierschutz zur Mutterkuhherde
„Wenn sich abends jemand beim Fernsehgucken an mich heranschleicht und abdrückt, ist es für mich auch nicht schlimm“, eröffnet Anna das Gespräch übers Töten mit einem drastischen Vergleich. „Für meine Familie wäre es schlimm, ich würde davon aber nichts mitbekommen.“ Seit vier Jahren betreibt sie Alster Wagyus. Vor vier Jahren hat die gelernte Tierarzthelferin und nun-Immobilienverwalterin beschlossen, aus ihrer kleinen Gruppe von Rindern, die sie im Laufe einiger Jahre bei sich aufgenommen hat, eine Mutterkuhherde aufzubauen und Tiere für den Fleischverkauf schlachten zu lassen. Fleisch, das so ist, wie sie sich das Fleisch wünscht, das ihr Umfeld isst. Sie selbst ernährt sich vegan.
Einschläfern war keine Option
Tragen muss sich der Hof selbst, deswegen wird regelmäßig geschlachtet. Zwei Tiere im Monat braucht es auf Dauer, hat Anna überschlagen. Zwanzig Minuten dauert die Fahrt im Viehanhänger zur Landmetzgerei Hoose in Hammoor. Den Transport sind die Tiere gewöhnt. Mehrfach im Jahr werden sie zwischen verschiedenen Weideflächen und dem Stall hin und hergefahren. Die erste Fahrt zur Landmetzgerei Hoose war, um einer alten Kuh, der sie Gnadenbrot gewährte, einen stressfreien Tod zu ermöglichen. 19 Jahre war Brownie alt und hatte körperlich abgebaut. Vielen Jahren in der Milchproduktion folgten ein paar zum Gnadenbrot bei Anna. Zahm und ruhig war sie – solange sich kein Tierarzt blicken ließ. Vor dem hatte die alte Kuh panische Angst. Ein Problem, wenn ein Tier eingeschläfert werden soll. Das sonst gängige Mittel für einen sanften Tod war nicht einsetzbar.
Das Leben ist, was zählt
Es geht bei Alster Wagyus um die Tiere. Genauer gesagt, um das Leben der Tiere und den Transport vor der Schlachtung. Das soll für die Tiere stressfrei sein. Deswegen hat Anna sich auch für das Haltungssystem entschieden, das sie fährt: im Winter auf großzügig eingestreuten Flächen im Tiefstreustall und im Sommer verteilt auf Koppeln im Umland. Das Futter für ihre Tiere mähnt Anna nicht selbst. Sie ist keine gelernte Landwirtin und für die Kosten der nötigen Maschinen kann sie viele Jahre Silage und Stroh kaufen, um die Tiere satt zu bekommen. Gefüttert wird trockene Heulage aus recht alten Gräsern. Ein hoher Rohfaseranteil in der Ration, erkennt der Landwirt: Rinder sind Wiederkäuer. „Rohfasterverdauer“. Junge Gräser, die mit recht viel Feuchtigkeitsanteil siliert wurden, sind gut für die Leistung der Tiere, weniger gut für die Verdauung. Anna kennt die Landwirte, von denen sie ihr Futter bezieht und die Landwirte kennen Anna. Sie wissen was sie möchte und das bekommt sie. Über 1000 Ballen Heulage und Stroh sind es im Jahr; sie ist eine gute Kundin. Große Weiden und halbwilde Haltung von Robustrindern waren keine Option an ihrem Standort. Das Veterinäramt lehnt den Weideschuss ab. Tieren, die das ganze Leben draußen verbracht haben am Ende einen Transport zuzumuten, lehnt sie ab.
Fleisch für den menschlichen Verzehr
Aus der Not mit der tierarztverweigernden Kuh Brownie machte Anna, pragmatisch wie sie ist, eine Tugend. Ihr Lebensgefährte isst Fleisch. Ihre Familie isst Fleisch. Ihre Hunde fressen Fleisch. Auf der Suche nach einer stressfreien Alternative zum Einschläfern durch den Tierarzt, wurde der Schlachter immer mehr zur Option. Den ganzen Sommer über klapperte Anna die Umgebung nach „dem richtigen“ ab, bis sie schließlich im Herbst bei der Metzgerei Hoose auf dem Hof stand und alles passte. Den Transport war Brownie gewohnt, genau, wie einen Apfel oder ein altes Brötchen von Anna angeboten zu bekommen. Sie merkte nicht, wie der Bolzenschuss gesetzt wurde und der Schlachter abdrückte. Sie war nicht eingeschläfert worden, sondern geschlachtet. „Getötet durch Blutentzug um Fleisch für den menschlichen Verzehr zu gewinnen“, wie Wikipedia Schlachten definiert. Der Tod kam für Brownie unerwartet. Annas Familie war erstmal versorgt.
Ans Töten gewöhnen? Niemals.
Was hat es mit ihr gemacht, das Schlachten? Anna sagt, dass ihre Gefühle dabei zweitrangig sind. Sie ist pragmatisch und ihr geht es um die Sache. Sie gewöhnt sich nicht ans Töten, aber sie ist immer dabei. Das Schlimmste ist die Entscheidung darüber, ob ein Tier gehen soll oder nicht. Sie sagt, sie freut sich über jedes Bullenkalb, weil es ihr die Entscheidung abnimmt, ob es geht oder nicht. Sonst hat sich das Verhältnis zu den Tieren nicht geändert, seit sie Fleisch vermarktet. Sie fühlt sich den Tieren gegenüber aber auch nicht schuldig. Warum auch? Die Angst vor dem Tod ist menschgemacht. Tiere verstehen das Konzept Tod nicht und dadurch, dass Anna im Alltag die Routinen der Tiere kennt und mitgestaltet, kann sie auch bis zum Schluss für eine ruhige Umgebung sorgen. Bis zum Schuss, sozusagen. Ist ein Tier zu nervös zum Verladen, bleibt es. Irgendwann werden sie alle zahm. Manche nach ein paar Wochen, manche dann halt nach ein paar Jahren. Makaber, dass nur die zahmen geschlachtet werden? Für die Tiere allemal besser.
Durch den Streifenvorhang in den Schlachtraum
Für die Zukunft soll ein Schlachtraum auf dem Hof entstehen. Dann ist es nur mehr ein Streifenvorhang, durch den die Tiere gehen müssen. Der Schlachter bleibt derselbe, genau wie das Vermarktungssystem. Im Gegensatz zu vielen Anbietern gibt es bei Alster Wagyus keine fertigen Nose-to-Tail-Fleischpakete, sondern man kann von der Bestellliste anfragen was man haben möchte. Anna kennt die Schlachtgewichte der Tiere und mit der Erfahrung der letzten Jahre weiß sie, wie viel von welchem Teilstück sie abgeben kann. Das bedeutet viel Organisationsaufwand per Mail und Telefon, aber auch viel Kontakt zu ihren Abnehmern. Etwas mehr als ein Drittel der Tiere hat inzwischen Wagyu-Blut. Ito, ihr kohlrabenschwarzer Wagyu-Bulle ist seit einigen Jahren der Vater ihrer Kälber. Sie erwartet etwas von der legendären japanischen Marmorierung des Fleisches der Tiere. Die Mutterherde ist buntgemischt: neben alten Milchkühen laufen dort langbeinige Chianina, reinrassige Wagyus, Galloways, Hereford und jede Menge Mischungen. Demnächst gehen die ersten Wagyu-Kreuzungen durch den Streifenvorhang.
Man muss kein Fleisch essen, um es anzubieten
Probieren wird Anna das Fleisch trotzdem nicht. Warum auch? Auf meine Nachfrage dazu reagiert sie gelassen; nicht das erste Mal, dass sie es gefragt wird. Sie hat nicht das Bedürfnis Fleisch zu essen, fertig. Sie braucht es nicht. Die Qualität beurteilen ihr Metzger, ihr Lebensgefährte und die Kundinnen und Kunden, die die Tiere regelmäßig, Minuten nachdem die Bestellmail herausgegangen ist, ausverkaufen. Auch da ist die Argumentation schlüssig: um den Vergleich zu haben, müsste sie ja nicht nur das Fleisch ihrer Tiere essen, sondern auch andere, mindere und vielleicht bessere Qualitäten. Da vertraut sie lieber den Profis und konzentriert sich darauf, dass es den Tieren gut geht, während sie leben.
Über den Autor Ingmar Jaschok
Ingmar Jaschok ist Demeter-Landwirt mit journalistischer Ader – eine seltene Kombination. Durch tiefe Einblicke in die Landwirtschaft aufgrund jahrelanger Arbeit auf Betrieben in ganz Deutschland und seinem Heimathof dem Bornwiesenhof weiß er genau, an welchen Stellen es Fleisch-Erzeuger am meisten drückt und wo dringend mal nachgehakt werden muss. Als freier Journalist und Autor bereitet er diese Erkenntnisse so auf, dass auch Endverbraucher verstehen, was die Branche bewegt. Ingmar Jaschok reist als Genuss-Scout für Fleischglück durch Deutschland und trifft Erzeuger, Gastronomen und andere Persönlichkeiten, die in der Fleisch-Szene außergewöhnliches leisten. Noch mehr Geschichten aus seinem Leben als Landwirt mit Mission und Vision kann man auf seinem Blog Hofhuhn lesen.