„Dieser Wein passt gut zu Fleisch?“: Wir müssen lernen, zu differenzieren!
Vor kurzem nahm ich an einer Weinprobe teil. Neben den zu verköstigenden Weinen hatten die Veranstalter auch Brot, Käse und verschiedene Salamis zur Verfügung gestellt. Eine Salami war mit Knoblauch, die andere stark mit Paprika gewürzt. Das fiel mir auf. Im Laufe der Verkostung der Weißweine machte die Sommelière eine überraschende Bemerkung. Beim Probieren eines Grünen Veltliner meinte sie: „Dieser Wein passt auch gut zu Fleisch.“
Was bedeutet Fleisch?
Früher hätte ich diesen Kommentar überhört; vielleicht hätte er sogar von mir kommen können. Jetzt, als Metzger, war das nicht mehr möglich. Was meinte sie mit „Fleisch“? Die Möglichkeiten der Verarbeitung von Fleisch sind sehr vielfältig: Allein Rinderbraten oder Steak teilen Welten in der Art, der Behandlung und in der Verarbeitung des Ausgangsmaterials. Hausschwein schmeckt anders als Wildschwein und Huhn anders als Hirsch. Und wenn man dann noch die wirkliche Hohe Kunst dazu nimmt – die Charcuterie oder Pasteten-, Schinken- und Wurstherstellung –, dann gibt es nahezu unendlich viele Geschmackskombinationen.
Fleisch ist tatsächlich vergleichbar mit Schokolade. Schokolade gehört zu den komplexesten organischen Lebensmitteln, die wir essen. Frisch vom Baum ist die Bohne nahezu ungenießbar. Erst ein komplizierter Reifungs- bzw. Fermentationsprozess lässt eine riesige Vielzahl von Geschmacksstoffen entstehen. Erst im Zusammenspiel entsteht daraus der Geschmack „Schokolade“. Es ist fast ein Wunder, dass dieser Prozess im Laufe der Jahrhunderte verstanden wurde.
Fleisch bedeutet Komplexität
Rohes Fleisch hat ebenfalls kaum einen Eigengeschmack, allerhöchstens ist da die Ahnung nach etwas Metallischem. Wer schon einmal ein fein zubereitetes Rindertartar gegessen hat, weiß das. Man schmeckt den Senf und die Kapern auf der Zunge oder riecht die Petersilie im Gaumen; die gehackten Schalotten liefern den Crunch. Zusammengehalten werden die Aromen durch das frische Eigelb. Das Fleisch steuert allenfalls die Textur, also das Mundgefühl, und vielleicht einen kühlenden Temperatureffekt bei.
Der Geschmack beim Fleisch entsteht über eine lange Kaskade an Arbeitsschritten vom Landwirt über den Metzger bis hin zum Koch und Konsument. An all diesen Stufen der Wertschöpfung gibt es eine Unzahl an Parametern, die Einfluss auf das Endprodukt haben.
Aromenbildung entlang der Wertschöpfungskette
Bei der Aufzucht der Tiere beispielsweise (beim Wein würde man sagen, das „Terroir“) spielen die Art der Tiere, ihre Genetik, ihr Alter, das Geschlecht sowie ihre Fütterung und Haltung eine große Rolle. Bei der Schlachtung sind insbesondere ein sicherer Transport zum Schlachthof, ein friedlicher Umgang mit den Tieren und eine stressfreie Tötung von Bedeutung. Wenn ein vor Angst panisches oder vom Transport erschöpftes Tier geschlachtet wird, kann man sich die ganze Diskussion über die Parameter sparen.
Unmittelbar nach der Schlachtung beginnt ein biochemischer Reifeprozess im Fleischkörper. Dieser wird von den Metzgern aufmerksam beobachtet und gesteuert: Körpereigene Enzyme und Bakterien brechen stabile Zellwände auf, zerlegen den vorhandenen Zucker in Milchsäure und lassen neue Aminosäureverbindungen entstehen. Bei Hühnern geht das schneller, bei Rindern kann es bis zu drei Wochen oder länger dauern. Der Reifeprozess reagiert auch empfindlich darauf, ob das Material trocken oder nass gelagert wurde, auf die Temperatur, die Feuchtigkeit der Luft oder Einflüsse des Lichts.
Alkohole, Aldehyde, Furane
Im fertig gereiften Fleisch sind dann mehreren Hundert flüchtige Aromakomponenten neu entstanden. Dazu gehören beispielsweise Alkohole, Aldehyde, Furane sowie verschiedene Schwefelverbindungen. Je nach Tierart liegen diese in unterschiedlichen Mengen vor. Deshalb schmeckt Lammfleisch anders als Schweinefleisch.
Das Ende der Reifung ist allerdings erst der Beginn der Geschmacksentwicklung. Falls das Fleisch zu diesem Zeitpunkt gegessen wird, etwa in Form von Steaks oder als Braten, wird es erhitzt. Dabei entstehen wieder eine Unzahl von neuen Geschmackskomponenten wie etwa Aldehyde, Schwefelwasserstoff oder Ammoniak in der Maillard-Reaktion oder – ebenso wichtig – Aldehyde, aromatische Kohlenwasserstoffe sowie Ketone durch die hitzegetriebene Zerstörung der Fettsäuren.
Handwerkliche Meisterarbeiten
Sollte sich ein Metzger jedoch dazu entscheiden, sein Fleisch für die Herstellung von Schinken oder Würsten zu verwenden, spielt eine ganz andere Philosophie eine Rolle: Beide Produkte dienen primär der Haltbarmachung für einen längeren Zeitraum. Ein zentraler Inhaltsstoff ist deshalb das Salz. Es konserviert nicht nur sondern beeinflusst maßgeblich den Geschmack. Dazu kommen Mischungen von Gewürzen und Kräutern, je nach Rezept oder regionaler Tradition. Bei einer bayerischen Weißwurst mischt sich etwa weißer Pfeffer mit Petersilie, die Thüringer Bratwurst verbindet Kümmel und Pfeffer mit Knoblauch oder Majoran. Der Punkt ist, dass das für die Herstellung der Wurst gewählte Fleisch für den Geschmack eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es ist vorrangig für die Färbung, die Wasserbindefähigkeit oder für den „Knack“ verantwortlich.
Schinken und Würste sind richtige handwerkliche Meisterarbeiten. Sie sind geschmacklich hochkomplexe Produkte mit einem eigenen Stellenwert. Ich finde es deshalb auch immer bedauerlich, wenn ich beobachte, dass Würste in Kombination mit Senf gegessen werden. Ganz selten probiert jemand einmal seine Münchner Weißwurst ohne den guten süßen Senf. Wie soll man denn den Geschmack der feinen Wurst in diesem Amalgam von Senfkörnern, Weinessig und Zucker überhaupt feststellen können?
Differenzierung und Konzentration
Es ist also gar nicht so einfach, ein komplexes Produkt wie den Wein mit einem ebenfalls komplexen Produkt wie Fleisch oder Charcuterie zu vereinbaren. Immerhin besteht Wein ja nicht nur aus Wein-, Apfel- und Zitronensäure. Im Spiel sind auch Alkohol, Gerbstoffe und eine Menge natürlicher Aromastoffe (z.B. Anthocyane, Carotinoide, Tannine oder Vanillin.) Wissenschaftlich sind wohl über 7.000 verschiedene Substanzen im Wein nachgewiesen worden. Und dann haben wir noch gar nicht von der Philosophie des Winzers oder der Winzerin gesprochen. Wie soll man also vorgehen?
Eine erste Antwort findet man im Zusammenspiel der Säuren. Dabei kann man beobachten, dass sich Säuren gegenseitig aufschaukeln. Somit verträgt Kochschinken einen leichten Weißwein, eine essigbetonte Sülze wird dagegen doppelt sauer. Ein zweites Thema ist das Salz. Das kann die Weinsäure leicht neutralisieren oder überdecken. Deswegen sollte man zum Steak oder Schweinsbraten eher zum kräftigen Rotwein greifen. Des ergibt sich natürlich auch aus deren starken Röstaromen. Allein diese einfachen Überlegungen zeigen: Die Aussage „Dieser Wein passt zu Fleisch“ ist inhaltlich wertlos, vielleicht sogar respektlos, da sie durch die extreme Vereinfachung alle mühevoll erzeugten Aromen in Fleischprodukten (und natürlich auch im Wein) über einen Kamm schert. Es braucht eine genaue Differenzierung von „Fleisch“. Oder stattdessen eine völlige Konzentration auf die einzelnen Produkte statt einer pauschalisierenden Verbindung ohne Wert. So viel genauigkeit darf, nein MUSS man, speziell von einem Fachmann/einer Fachfrau erwarten.
Wurstkultur – Ein Kulturerbe?
Mein ideales kaltes Abendessen besteht aus einer Scheibe dunklem Bauernbrot mit einer guten Butter und jeweils zwei Scheiben exzellentem Schinken und Salami. Bei so einer auf den reinen Geschmack reduzierten Mahlzeit macht es auch wieder Sinn, über die Begleitung mit einem kräftigen Riesling oder einem kühlen Craft Bier nachzudenken. Wir sollten uns insgesamt daran gewöhnen, Würste für sich selbst zu beachten und schätzen zu lernen. Überhaupt bin ich der Meinung, dass die Wursttradition in Deutschland zum UNESCO Weltkulturerbe gezählt werden sollte. Genauso wie es unsere Brotkultur seit dem Jahr 2014 bereits ist. Warum ist das nicht längst geschehen?
Über den Autor: Thomas Winnacker
Thomas Winnacker ist Metzgermeister und Unternehmensberater. Er erhielt seine Ausbildung bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten und arbeitete anschliessend bei der Öko-Metzgerei Landfrau.
Seit seiner Ausbildung in Herrmannsdorf interessierte sich Thomas für das Schlachten. Während der Meisterschule konnte er auch intensive Einblicke in die Arbeit eines Großschlachthofs gewinnen. Seit 2017 gehörte er zum neuen Führungsteam des Schlachthofs in Fürstenfeldbruck. Als Betriebsleiter hat er maßgeblich dazu beigetragen, diesen wertvollen regionalen Schlachthof wieder zu eröffnen.
Für Fleischglück.de möchte Thomas die Vorgänge rund um das Schlachten transparent machen. Er sagt: „Fleisch ist das wertvollste Produkt der Welt. Für jeden Bissen ist ein Tier gestorben! Das dürfen wir nicht verstecken. Wir müssen über das Töten reden.“
Hallo Thomas, es ist immer wieder inspirierend, von deinem Wissen zu profitieren! Es wird leider so viel dusseliges Halbwissen gepostet! Danke!!