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Marmorierungs-Hype beim Fleisch: Mit Vorsicht zu genießen

Marmorierungs-Hype beim Fleisch: Mit Vorsicht zu genießen

Welche Fleisch-Bilder bekommen bei Instagram die meisten Likes? Die mit krasser Marmorierung! Welche Steaks erzielen am Markt den höchsten Preis? Die mit krasser Marmorierung! Was antworten viele Steakfans auf die Frage nach ihren Lieblingscuts? Ja, genau. Die mit krasser Marmorierung! Der Hype um das eingelagerte Fett im Muskel dominiert den Diskurs um Steakporn, Luxusfleisch und den ultimativen Fleisch-Kick. Wir finden jedoch: „Geiles Fleisch“ allein auf Marmorierung zu reduzieren oder gar die Qualität daran zu messen, greift zu kurz. Höchste Zeit, das Thema Marmorierung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und etwas differenzierter zu betrachten. Zunächst die Basics – dann gehen wir in die Tiefe.

Was ist Marmorierung?

Marmorierung bezeichnet Fett, das Tiere aus verschiedenen Gründen in ihren Muskeln einlagern. Wir sprechen hier von intramuskulärem Fett im Gegensatz zu intermuskulärem Fett, das sich auf die Fettschicht oder  zwischen verschiedenen Muskelgruppen bezieht.

Warum wird Marmorierung so sehr gehyped?

Fett ist im kalten Zustand fest und schmierig. Im warmen bzw. heißen Zustand schmilzt es und wird cremig bis flüssig. Je mehr Fett in einem Stück Fleisch in fein verteilten Adern steckt, desto mehr flüssige Elemente liefert es nach dem Erhitzen. Flüssigkeit bietet beim Beißen keinen Widerstand, so sorgen viele Fettadern für einen sehr zarten Biss. Die festen Muskelfasern werden immer wieder durch flüssige Kammern unterbrochen und es entsteht ein Effekt wie bei Luftschokolade. Gleichzeitig wird das flüssige Fett beim Beißen aus dem Fleisch gedrückt und sammelt sich im Mund. Diesen Schmelz und den zarten Biss schätzen Steakfans. Zusätzlich sorgt der Geschmacksträger Fett für eine Mundfülle, die gerne mit „Umami“ (japanisch für intensiv, würzig) umschrieben wird.

Welches Futter für gute Marmorierung?

Wie entsteht Marmorierung?

Fetteinlagerungen im Muskel können verschiedene Gründe bzw. Ursachen haben. Die vier wichtigsten sind:

Genetik

Bestimmte Rinderrassen haben eine grundsätzliche natürliche Veranlagung (genetisch bedingt) Fett einzulagern. Warum ein Tier dazu neigt – also welche evolutionären Vorteile damit einhergingen – ist noch nicht endgültig erforscht. Beispiele für eine genetische Tendenz zur „Verfettung“ findet man bei Rassen wie Wagyu (stark) oder Angus (mäßig).

Hormone/Geschlecht

Auch das Geschlecht und die hormonelle Situation des Tiers beeinflusst die Marmorierungsbildung. Bullen, die stark testosteronbeladen sind, prägen beispielsweise kaum Marmorierung aus –  sie verwerten die im Futter aufgenommene Energie sofort durch Aktivität – der Körper ist darauf gepolt, Energie ohne Umwege zu nutzen und nicht auf Reserve einzulagern. Anders ist das bei kastrierten Rindern (Ochsen) und bei weiblichen Rindern, speziell vor der ersten Kalbung. Diese sogenannten Färsen neigen aufgrund ihrer Situation der bald bevorstehenden ersten Schwangerschaft dazu, Fett auf Reserve einzulagern. Ähnlich ist das bei Ochsen, deren sanfteres Gemüt und der dadurch reduzierte Bewegungsdrang die Einlagerung von Fett begünstigt. Das ist auch der Grund, warum Färsen und Ochsen unter Steakliebhabern besonders geschätzt werden.

Fütterung

Der wohl gewichtigste Aspekt in der modernen Landwirtschaft ist die Fütterung, auch Mast genannt. Hier wird die genetische und hormonelle Tendenz zur Marmorierungsbildung ausgenutzt. Rassen, die zur Fetteinlagerung neigen und Tiere, die hormonell bedingt leichter Fett ansetzen, werden in einer Mastphase mit stark energiehaltigem Futter versorgt. Die Tiere fressen das gerne und (in aller Regel) freiwillig, da Lebewesen – auch der Mensch – energiehaltige Kost evolutionsbedingt gerne zu sich nehmen. Das, was nach Weihnachten beim Menschen passiert, geschieht auch beim Rind. Es nimmt zu und lagert Fett ein. Wie stark und wie lang diese Mast betrieben wird hängt vom Landwirt/Züchter und am Ende auch vom Produktionssystem ab. Dazu später mehr im Abschnitt zur Systemfrage.

Haltung

Auch hier lässt sich die parallele zum Menschen gut ziehen. Je mehr sich ein Tier bewegt, desto mehr Energie aus dem Futter verbrennt es direkt wieder durch Aktivität. Freilandrinder werden deshalb nie so fett wie Rinder, die ausschließlich im Stall stehen. Zwischen den Polen Freiland-Extensivhaltung und Anbindehaltung (in Deutschland zum Glück verboten) gibt es weltweit unzählige Haltungsformen. Die Einschränkung von Bewegung ist ein mächtiges Instrument zur Beeinflussung der Marmorierung. Jeder Erzeuger entscheiden auf Basis seiner eigenen Gewichtung von Tierwohl und angestrebter Marmorierung selbst, wie stark dieses Instrument genutzt und ausgereizt wird.

Moderate Wagyu Marmorierung

Muskelfasern und Kollagen: Marmorierung ist nicht alles

Wer nun glaubt, dass er ein absolutes Premium-Steak ausschließlich an der Marmorierung erkennt, dem sei gesagt: Ein Steak besteht nicht nur aus Fett. Es lohnt sich, auch Muskelstruktur eines Steaks analysieren. Denn die beste Marmorierung nutzt nichts, wenn sie mit Gewalt in ein mäßig steaktaugliches Rind hineingefüttert wurde. Was bedeutet das? Je nach Rasse prägen Rinder unterschiedlich starke und große Fasern aus. Klassische Steakrassen wie Wagyu, Angus oder Hereford sind klein und prägen deshalb auch kleine Fasern aus. Dort kommt eine Marmorierung beim Genuss eines Steaks besonders gut zur Geltung. Bei einem Milchrind wie einem Rotbunten oder einem Rind der Rasse Holstein Schwarzbunt, sind die Fasern deutlich kräftiger. Diese Rinder sind auf Milchleistung gezüchtet und nur in der Zweitnutzung auf Fleischproduktion optimiert. Hier kann sich genauso Fett einlagern, doch der Biss wird deutlich kerniger sein, als bei einem grundsätzlich zartfaserigen Steakrind.

Hinzu kommt die Rolle des Kollagens im Muskel. Je älter das Tier ist, desto stärker prägt sich in allen Teilen des Korpus auch das Bindegewebe aus. Je mehr Bindegewebe sich zwischen Muskeln und Fett ansiedelt, desto zäher wird das Fleisch. Eine fette Kuh mit hohem Alter zum Beispiel kann trotz extrem ausgeprägter Marmorierung ein richtig zäher Brocken sein. Man beißt dann hoffnungsvoll in das optisch so vielversprechende Steak in Erwartung einer hauchzarten Textur und erlebt dann eine kleine (zähe) Überraschung. Das bedeutet nicht, dass solche Steaks ungenießbar sind. Sie zeigen aber, dass Marmorierung kein Zartheits- und kein Saftigkeitsgarant ist.

Das Genetik-Dilemma

Wo keine Tendenz zur Marmorierung, dort ist es für den Landwirt selten sinnvoll, viel Energie in deren Ausprägung zu stecken. Klassische Extrensivrassen wie Galloway oder Aubrac, die genetisch auf direkte Energiegewinnung gepolt sind, werden daher fast nie gemästet. Ein Wagyu hingegen, bei dem bereits ohne Mast die Neigung zur Marmorierung besteht, bietet beste Ausgangsbedinungen, diese Tendenz zur Verfettung auch auszunutzen. Es ist aus rein wirtschaftlicher Sicht also gerade bei jenen Tieren attraktiv stark zu mästen und die Bewegung einzuschränken, bei denen man auch auf natürlichem und tierwohlgerechterem Wege schon eine Marmorierung erzielen könnte. Dieses Dilemma macht es umso komplizierter in einem ohnehin schon etwas marketingverseuchten Markt jene Erzeuger ausfindig zu machen, die das nicht hemmungslos ausreizen. Glücklicherweise haben sich viele Wagyuzüchter in Deutschland darauf besonnen, das Marmorierungspotential ihrer Rinder eher durch sinnvolle genetische Paarung als durch extreme Mast und Bewegungseinschränkung zu erhöhen. Zudem setzt auch ein Bewusstsein dafür ein, dass die Faszination der Marmorierung – zumindest bei Steaks –  ihre Grenzen hat.

Marmorierung im Ribeye Steak

Grenzen der Marmorierung

In einem Steak-Land wie Deutschland wird gutes Fleisch fast immer als mindestens 200 Gramm schwere Steakscheibe zubereitet – das ist der Standard. Solche Mengen sind allerdings nur genussvoll verzehrbar, wenn das Fleisch nicht aus 70% Fett besteht, wie bei den extremen Formen von japanischem Wagyu. Bei einer starken aber nicht übermäßigen Marmorierung (max BMS8-9) ist ein Wagyu-Steak noch ein Genuss (wenn auch schon ein sehr fetter) und man schafft in dieser Form auch ein ganzes Steak. Alles, was im Marmorierungsbereich darüber liegt ist als 300 Gramm Stück nur noch als Teppanyaki, Sukiyaki und mit einer großen Menge Freunde konsumierbar. So, wie es in Japan zelebriert wird.

Dazu kommt auch, dass extrem marmoriertes Fleisch, kaum noch Fleischgeschmack aufweist. Wenn 70% Fett 30% Fleisch geschmacklich transportieren, bleibt auf der Aromenebene nicht mehr viel Intensität. Solche Stücke faszinieren zwar im Mundgefühl, erinnern aber kaum noch an ein klassisches Steak. Deutsches Wagyu hat sich daher am Ende der steaktauglichen Marmorierungsskala eingependelt – und diese Marmorierungswerte lassen sich auch noch mit Methoden erzielen, die der Moral nicht sofort starke Bauchschmerzen bereiten.

Mast und Feedlots – auch eine Systemfrage

Am Ende ist die Marmorierungs-Kultur eines Landes auch eine Frage des Systems – also ob die Einlagerung von Fett im Fleisch wirtschaftlich gefördert wird oder nicht. In den USA, in Japan und Australien zum Beispiel gilt die Marmorierung ganz offiziell als entscheidendes Merkmal, das für die Einstufung der Fleischqualität verwendet wird. Je stärker die Marmorierung, desto höher der Preis, den der Landwirt für seinen Schlachtkörper am Schlachthof bekommt. Das lässt gigantische Massenmast-Anlagen aus dem Boden schießen – die Bilder kennt man als „Feedlots“, in denen Rinder dort die letzten Monate ihres Lebens auf engem Raum „gefinished“ werden.

In Deutschland herrscht ein anderes Qualitätssystem. Hier gilt nach wie vor die Fleisch-Ausbeute und eine magere Struktur als Qualitätsmaßstab für die Masse. Für Genießer ist das ein Dorn im Auge, die Landwirte hält genau das davon ab, Tiere bis ins Extreme zu mästen. Heraus kommt dann meistens ein magerer Jungbulle – was kulinarisch betrachtet wenig Potential hat. Nur einige wenige Züchter wagen es mittlerweile, Fleisch in Deutschland außerhalb dieses auf Fleischmenge optimierten Systems zu produzieren. Sie sind dann auf eine gute Marketingstrategie angewiesen, um die Vermarktung ihres (oft wirklich guten aber teuren) Fleischs auch außerhalb des Massenmarktes anzukurbeln.

Fazit zur Marmorierung: Zieh‘ selbst deine Schlüsse

Dass Marmorierung – kulinarisch betrachtet – ein echtes Highlight sein kann, steht außer Frage, die Faszination erklärt sich so sehr schnell. Dabei sollte man aber folgende Punkte nicht übersehen: Kräftige Marmorierung alleine macht kein zartschmelzendes Steak. Marmorierung kann (relativ) natürlich und tierwohlgerecht entstehen, je stärker sie ausgeprägt ist, desto mehr hat aber der Mensch wahrscheinlich nachgeholfen. Je höher der Fettgehalt ist, desto genauer sollte man also hinschauen, ob hier natürliche Faktoren wie Rasse und Geschlecht des Auschlag gegeben haben oder ob die Marmorierung eventuell über eine extreme Fütterungsart und starke Bewegungseinschränkung erzielt wurde. Der Markt bietet mittlerweile alles zwischen Freiland-Wagyu aus reiner Grasfütterung und Kobe-Beef aus reiner Stallhaltung und Turbomast. Die Marmorierung verrät dabei einiges, aber noch nicht alles. Es hilft deshalb, die Hintergründe zu verstehen, um im Gespräch mit dem Metzger des Vertrauens, beim Lesen des Etiketts und bei der Recherche im Netz die richtigen Schlüsse zu ziehen. So kann jeder die Entscheidung treffen, die für ihn/sie die richtigen Prioritäten setzt. Eines steht nämlich fest: Ein Fokus auf Nachhaltigkeit/Tierwohl und eine Marmorierung à la BMS12 schließen sich schlichtweg aus.

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