Mythos Fassona Piemontese – die Primadonna unter den Rinderrassen
Heute haben wir noch einmal ein Portrait zu einer ganz besonderen Rinderrasse im Gepäck. Denn Gourmets auf der ganzen Welt lecken sich buchstäblich die Finger nach dem unvergleichlichen Fleisch dieser Tiere. Dabei gilt normalerweise eher fettes und entsprechend stark marmoriertes Fleisch als Maß aller Dinge. Ein Merkmal mit dem das Piemonteser Rind eher weniger punkten kann. Kenner bezeichnen es sogar scherzhaft als Anti-Wagyū. Grund genug für uns, den Mythos, um das Fassona Beef genauer zu ergründen und unseren kulinarischen Kosmos zu erweitern.
Eine außergewöhnliche Kreuzung
Auf den ersten Blick sticht vor allem die überdurchschnittlich ausgeprägte Muskulatur der Tiere ins Auge. Denn die Wirbelsäule verschwindet förmlich zwischen den beiden Rückensträngen. Und so sind auch andere Knochenstrukturen kaum unter dem wuchernden Gewebe zu erkennen. Diese Eigenschaft wird auch als Muskelhypertrophie bezeichnet – ein genetischer Defekt im Erbgut. Das ungehemmte Wachstum der Muskulatur wird in Fachkreisen auch Doppellender genannt. Da auf dem zweiten Chromosom das Gen fehlt, welches für die Produktion des Proteins Myostatin zuständig ist. Dieses begrenzt das Muskelwachstum. Anatomisch gesehen haben die Rinder jedoch nicht mehr Muskeln als ihre Artgenossen anderer Rinderrassen. Die einzelnen Muskelfasern sind jedoch wesentlich stärker entwickelt, was zu dem außergewöhnlichen Erscheinungsbild der Muskelprotze führt. Diesem haben sie auch ihren klanghaften Namen zu verdanken. Denn im Italienischen wird die Mutation fasce muscolari genannt – daraus leitete sich im piemontesischen Dialekt das Wort fassona ab.
Die Piemonteser Rinder gehören der Gattung der Hausrinder an und sind eine Kreuzung aus Auerochsen und Zebu. Ihr Stammbaum führt zurück bis in die Steinzeit – was sie zu einer der ältesten Rinderrassen unserer Geschichte macht. Doch die Vermischung beider Rassen war eher ein glücklicher Zufall. Denn die Piemonteser Ochsen lebten durch die geografische Beschaffenheit der bergigen Region sehr abgeschottet. Jedoch schaffte es eine zugewanderte Herde Zebus aus dem pakistanischen Raum in die Gegend und es kam zur Paarung. Ein detailliertes Rassenportrait zum Zebu findet ihr zur Ergänzung hier.
Die Heimat der Piemonteser
Als großer Stolz einer ganzen Region haben die unverwechselbaren Rinder mit ihrer exquisiten Fleischqualität inzwischen weltweit eine Art Kultstatus erlangt. Die großwüchsige Rinderrasse ist neben dem Weinanbau, den berühmten Alba Trüffeln und Haselnüssen das Aushängeschild des Piemont. Denn die gesamte Genussregion Langhe im Piemont ist bekannt für seine herausragenden Lebensmittel und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Tiere werden heute überwiegend in den Gebieten Asti und Cuneo, aber auch in Teilen der Provinz Turin gezüchtet.
Ursprünglich kamen die besonderen Rinder zunächst vorwiegend als Milch- und Arbeitsrasse zum Einsatz. Sie waren schnellwüchsig, kräftig gebaut und gaben immer ausreichend Milch für die Kälbchen und darüber hinaus noch genug für die Käseproduktion. Mit der Zeit erkannte man jedoch das hohe Potential des Schlachtkörpers als hervorragenden Fleischlieferanten und züchtete die Tiere immer gezielter für die Produktion. Doch auch wenn die spezielle Genmutation die Rinder für die Region aus wirtschaftlicher Sicht attraktiv macht, hat sie dennoch eine Kehrseite der Medaille. Denn das überdurchschnittliche Muskelwachstum sorgt gleichzeitig für eine erhöhte Schwergeburtenrate.
Deshalb kommen die Kälber selten auf natürlichem Wege zur Welt. In der Regel benötigen die Muttertiere eine Geburtshilfe – die gängigste Methode ist hierbei ein Kaiserschnitt. Sie zeichnen sich durch ihr weiß-grau meliertes Fell und die dunklen Pigmente an den Hörner- und Schwanzspitzen aus. Auch die Augen- und Maulpartie sind dunkel schattiert. Die Verwandtschaft mit dem Zebu, ist deutlich an der Schädelstruktur und dem Brustwirbelbereich erkennbar. Direkt im Nacken zeichnet sich ein über proportionierter Buckel ab. Sowohl die Kühe als auch Bullen haben ein ruhiges Gemüt und können ein beachtliches Gewicht von 750 Kilo bei den Muttertieren und bis zu 1200 Kilo bei den Ochsen auf die Waage bringen. Durch die Isolation der Rasse im Voralpengebirge, blieben diese typischen Merkmale über die Jahrtausende hinweg unverändert.
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Was macht das Fleisch der Fassona Rinder so einzigartig?
Die Fassona Rinder aus dem Piemont gelten als weißer Trüffel unter den Luxusrinderrassen. Doch diese hohe Messlatte in Puncto Qualität haben sie nicht nur wegen ihrer Bodybuilderstatur erreicht. Vor allem die herausragend zarte Faserstruktur ist ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. Diese stammt jedoch nicht, wie man meinen möchte, von einem hohen intramuskulären Fettanteil – ganz im Gegenteil. Die Tiere sind eher für ihr sehr mageres Fleisch bekannt. Dabei ist wirklich jedes Teilstück butterzart und nur selten marmoriert. Damit bilden sie den kontrastreichen Gegenpart zum berühmten Kobe Beef. Nichtsdestotrotz ist die Zartheit beim Fassona enorm ausgeprägt. So lässt sich fast ausnahmslos jeder Zuschnitt, auch jenseits von den typischen Steakcuts kurzbraten. Diese auffallende Eigenart verdankt es seinem geringen Bindegewebsanteil. Damit kann es in Sachen Zartheit locker mit anderen Spitzenrinderrassen mithalten und bildet dabei aufgrund des geringen Fettgehalts dennoch ein Kontrastprogramm zu ihnen.
Darüber hinaus weist das Fassona noch eine weitere Finesse auf – die intensive und zugleich liebliche Aromatik. Bereits die einjährigen Kälbchen haben ein gleichermaßen geschmeidiges, wie auch geschmackvolles Fleisch. Diese Intensität nimmt bei den älteren Tieren noch zu und kann durch entsprechende Reifeverfahren nach der Schlachtung unterstützt werden.
Ein zusätzliches einzigartiges Merkmal, ist der Nährstoffgehalt des Muskelgewebes. Hier finden sich hohe Anteile an Omega-3 und Omega-6-Fettsäuren. Doch der erstaunlichste Aspekt, ist der Kaloriengehalt. Denn ein Steak vom Piemonteser Rind hat auf 100 Gramm gemessen, weniger Kalorien als ein Hähnchen (ohne Haut) – kann dabei aber einen ähnlich hohen Eiweißwert vorweisen. Es steht dem Geflügel also aus diätischer Sicht in nichts nach. Auch der Gehalt an gesättigten Fettsäuren ist verglichen mit den üblichen Rindersteaks von Charollais und Co. verschwindend gering. So bezeichnete die American Heart Association das Fleisch der Tiere (in Maßen genossen) sogar als besonders herzfreundliches Nahrungsmittel.
Der Schlüssel zum ausgewogenen Geschmack
Doch nicht nur die Kreuzung beider Rinderrassen sorgt für die markante Charakteristik des Fleisches. Eine ebenso entscheidende Rolle für die Qualität spielen die naturnahe Fütterung und Weidehaltung der Tiere. Leider sind die Piemonteser Kolosse bekannt für ihre Trägheit. Die meist bewegungsfaulen Riesen verbringen deshalb viel Zeit im Stall. Aber die Muttertiere halten sich während der Tragezeit und auch danach in Begleitung ihrer Kälbchen zum Großteil auf den nährstoffreichen Wiesen auf. Denn die Aufzucht in freier Natur wirkt sich deutlich auf die Beschaffenheit des Endproduktes aus. Verschiedenste Gräser und Kräuter, kombiniert mit einem Trockenfutter aus Mais, Hafer, Kleie, Hülsenfrüchten und Heu ohne künstlich zugesetzte Proteine oder Mineralien, tragen deutlich zum Aroma des Fassona Beef bei. Und diese Haltungsform spiegelt sich ebenso positiv im kaum vorhandenen Flüssigkeitsverlust beim Garen wider.
Worauf muss man bei der Zubereitung von Fassona Beef achten?
Auch wenn die Beschreibung dieser Köstlichkeit zu schön klingt, um wahr zu sein, gibt es dennoch einen Wehmutstropfen – die Zubereitung. Denn das Fassona Beef erreicht seinen Garpunkt deutlich schneller als gewöhnliches Rindfleisch. So benötigt beispielsweise ein 400-500 Gramm Steak gut 4-5 Minuten weniger Zeit als ein vergleichbares Stück vom Hinterwäldler Rind. Ein Aspekt, den man bei der Verarbeitung nicht unterschätzen sollte. Doch mit etwas Erfahrung und dem nötigen Fingerspitzengefühl, ist auch diese kleine Hürde beim Garen zu meistern.
Nichtsdestotrotz eignet sich das unvergleichlich feine Fleisch der Königsklasse ebenso gut für Schmorgerichte. Schließlich gehört ein geschmortes Ragout namens Finanziera zu den traditionellsten piemontesischen Gerichten. Verzichtet man dabei auf brachiale Hitze und passt die Garzeit entsprechend an, behält das empfindliche Fleisch dennoch seine geschmeidige Textur. Slow Food im besten Sinne! Somit sind alle Teile am Fassona edel und über allen Maßen zart – einfach ein purer und unverfälschter Genuss.
Autorin – Isabella Wenzel
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